Der Trugschluss der Roadmap-Planung: Eine Lektion aus dem Garten

In der agilen Welt der Softwareentwicklung gelten Roadmaps oft als heiliger Gral der Projektplanung. Sie verheißen Orientierung und Sicherheit auf dem Weg durch den Dschungel der Entwicklungsaufgaben. Doch betrachten wir sie zu Unrecht als Allheilmittel der Planung? Lassen Sie uns diese Frage mit einer Geschichte aus einem ganz anderen Bereich – dem Gartenbau – beleuchten.

Stellen Sie sich vor, Sie träumen von einem idyllischen Gartenhaus in Ihrem Garten, das auf einem soliden Fundament ruhen soll. Sie beginnen enthusiastisch mit der Planung: Ein Kubikmeter großes Loch muss gegraben werden. Dann ein Fundament gegossen und schließlich das Haus aufgestellt werden. Die Roadmap dafür ist schnell erstellt – ein scheinbar einfacher Plan für einen klaren Output. Maximal 2 Wochen.

Doch schon der erste Anruf bei den Technikern lässt das Übel hochkommen. Der lokale Erdbauer weiß, dass in der Gegend oft Granit im Boden vorkommt. Sprengungen sollten auf die Roadmap. Auch der Zugang zum Grundstück stellt sich als schwierig heraus. Nur ein kleiner Bagger kann zum Einsatz kommen. Auch der Abtransport muss in kleinen Fuhren, mit einer Schubkarre erfolgen. Schotter und Beton müssen geliefert und mühevoll an die schwer zugängliche Position gebracht werden. Die rechtliche Prüfung ergibt, dass es das Grundstück einer WEG gehört und ein Beschluss gefasst werden muss. Der erste Umlaufbeschluss scheitert. Eine Eigentümerversammlung muss einberufen werden. Das Bodengutachten ergibt eine erhöhte Bleibelastung. Das Erdreich muss teuer entsorgt werden. Die Komplexität des Projekts wächst exponentiell. Sie benötigen Sprengstoff, müssen Sicherheitsvorkehrungen treffen, die Genehmigung der Wohneigentümergemeinschaft einholen, und der Zugang für den Bagger wird zur logistischen Herausforderung. Die einst so klare Roadmap erweitert sich um zahlreiche unvorhergesehene Aufgaben. Die neue Roadmap zeigt 8-12 Monate.

In diesem Moment der Frustration kommt die Erleuchtung: War das Ziel wirklich der Bau eines Gartenhauses? Oder ging es schlicht darum, einen geeigneten Platz für die Unterbringung der Gartenmöbel zu finden? Plötzlich erscheint der bisher übersehene Kellerraum als die optimale Lösung. Der neue Plan ist schnell gefasst: Entrümpeln, Möbel einräumen, fertig. Dauer 2 Tage.

Diese scherzhafte Geschichte illustriert nicht nur die Tücken der Planung in der physischen Welt, sondern wirft auch ein Licht auf ein häufiges Missverständnis in der Softwareentwicklung. Roadmaps werden oft fälschlicherweise als Planungswerkzeug betrachtet. In Wahrheit sind sie jedoch nichts anderes als eine Visualisierung einer bereits abgeschlossenen Planung. Sie sollten die Ergebnisse eines umfassenden Planungsprozesses darstellen, in dem Ziele definiert, Optionen bewertet und Entscheidungen getroffen wurden.

Der wahre Wert von Roadmaps liegt in ihrer Fähigkeit, einen Überblick über die geplanten Schritte zu geben und so das Team sowie Stakeholder über den bevorstehenden Kurs zu informieren. Doch ohne die zugrundeliegende, tiefgreifende Planungsarbeit, die durch Methoden wie OKR (Objectives and Key Results) und Scrum angeleitet wird, sind sie nicht mehr als eine hübsche Zeichnung ohne Fundament.

OKR und Scrum zwingen uns, zuerst das “Was” und das “Warum” zu klären, bevor wir uns dem “Wie” und “Wann” zuwenden. Sie ermutigen Teams, über den gewünschten Outcome nachzudenken und sich nicht von vornherein auf einen spezifischen Output zu versteifen. In unserem Gartenbeispiel wäre das Ziel nicht das Graben eines Lochs gewesen, sondern die effektive Unterbringung der Gartenmöbel – ein Ziel, das, einmal richtig verstanden, auf ganz andere, überraschend einfache Weise erreicht werden konnte.

Abschließend lässt sich sagen, dass Roadmaps eine wichtige Rolle in der Kommunikation und Visualisierung von Plänen spielen, aber sie dürfen nicht mit dem Planungsprozess selbst verwechselt werden. Die wahre Kunst der Planung in der Softwareentwicklung – wie im Leben – liegt darin, flexibel zu bleiben, Ziele klar zu definieren und offen für unerwartete Lösungen zu sein, die uns letztendlich zum gewünschten Ergebnis führen. So können wir sicherstellen, dass wir nicht nur bauen, was wir geplant haben, sondern planen, was wir wirklich benötigen.