Nunc Plaudite – Ein Manifest über die Zerstörung des Diskurses

Nunc Plaudite – Ein Manifest über die Zerstörung des Diskurses

Wir suchen die Schuld am Zerfall unserer Diskussionskultur meist bei offensichtlichen Tätern: Hasskommentare, Falschinformationen, Radikalisierung. Doch der wahre Verfall vollzieht sich still, beinahe unsichtbar. Nicht durch die Lüge, sondern durch Zustimmung. Nicht durch Manipulation, sondern durch unser Bedürfnis, akzeptiert zu werden.

Soziale Medien versprechen Gemeinschaft, doch was sie erschaffen haben, ist eine Maschine permanenter Affirmation. Der Algorithmus kennt keine Wahrheit, keine Vernunft – nur Zustimmung, Ablehnung und Reichweite. Jeder Kommentar, jedes Like ist Treibstoff für dieses System, egal ob wir unterstützen oder widersprechen. Wer widerspricht, verbreitet. Wer hinterfragt, verstärkt.

Die Grenze zwischen Meinung und Fakt verschwimmt vollkommen. Wo einst geprüfte Erkenntnisse standen, wo Wissenschaftler ihre Thesen dem Urteil unabhängiger Fachkollegen aussetzten (Peer-Review), wo Forschungsergebnisse monatelang geprüft wurden, zählt heute nur, ob eine Aussage emotional genug ist, um geteilt zu werden.

Wissenschaftliches Arbeiten ist unbequem. Es sucht keine Zustimmung, sondern Wahrheit – auch auf Kosten der Beliebtheit. Peer-Review-Verfahren in renommierten Fachmagazinen garantieren keine Likes, aber Klarheit, Belastbarkeit und Tiefe. Quod erat demonstrandum – „was zu beweisen war“ – markierte einst den Abschluss eines logisch sauberen Beweises. Genau diese Qualität verschwindet heute in der digitalen Welt der sofortigen Bestätigung. Hier gilt nicht mehr, was bewiesen, sondern was gefühlt wird. Nicht, was wahr ist, sondern was populär klingt. Quod erat applaudendum. Was zu bejubeln war. Oder besser nunc plaudite, die lateinische Aufforderung zu klatschen.

Wir alle sind Teil dieser Maschine. Wir liken, weil wir zustimmen. Wir liken, weil es sich gut anfühlt. Doch mit jedem Klick verstärken wir ein System, das echte Diskussion unmöglich macht. Die Folgen sehen wir täglich: Eine Politik, die lieber gefällt als überzeugt. Eine Gesellschaft, die lieber recht behält, als dazulernt. Eine Kultur, in der Wahrheit zur Geschmacksfrage wurde.

Es reicht nicht, soziale Medien nur zu kritisieren. Wir müssen uns eingestehen, dass ihre Mechanik die Grundlagen unserer Kultur systematisch untergräbt. Ihre Algorithmen sind nicht neutral, nicht harmlos, nicht kontrollierbar – sie sind giftig. Sie zerstören, was sie angeblich verbinden wollten.

Vielleicht müssen wir soziale Medien abschalten. Vielleicht müssen wir sie verbieten. Vielleicht sollten wir zumindest offen darüber sprechen, dass Plattformen, die Aufmerksamkeit über Wahrheit, Zustimmung über Erkenntnis stellen, niemals Orte echten Diskurses sein können.

Diese Forderung wird nicht populär sein. Zu stark ist unsere Illusion, wir hätten alles unter Kontrolle. Doch das ist Teil der Täuschung: Wer glaubt, soziale Medien zu beherrschen, hat bereits verloren.

Nicht Hass hat uns gespalten.
Nicht Lügen haben den Diskurs zerstört.
Wir selbst waren es.
Klick für Klick. Like für Like.

Noch immer jubeln wir dem Spektakel zu, während Wahrheit und Vernunft leise von der Bühne verschwinden.

Vielleicht hören wir erst auf zu applaudieren, wenn das Licht endgültig ausgegangen ist.
Vielleicht aber auch nicht.

Nunc plaudite, quod erat applaudendum.