Daten vs Oil

Daten sind nicht das neue Öl – warum diese Metapher die wahre Natur der Daten verkennt

In den letzten Jahren hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass „Daten das neue Öl“ seien. Diese Analogie suggeriert, dass Daten, wie fossile Brennstoffe, gefördert, verarbeitet und zur Erzielung von Gewinn genutzt werden können. Doch diese Metapher ist nicht nur ungenau, sondern gefährlich irreführend. Sie vereinfacht die komplexen und dynamischen Eigenschaften von Daten und ignoriert ihre ethischen Implikationen. Für Unternehmen, die sich in der digitalen Wirtschaft behaupten wollen, ist es entscheidend, die wahre Natur der Daten zu verstehen und ihre Verantwortung in Bezug auf deren Nutzung zu erkennen.

Daten sind keine endliche Ressource

Der Ölzyklus ist relativ klar: Öl wird gefördert, verarbeitet und letztlich verbraucht. Am Ende steht häufig die Emission von CO2, mit all den bekannten negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Öl ist also eine lineare, endliche Ressource. Je mehr wir davon verwenden, desto knapper und teurer wird es, und die langfristigen Schäden für das Klima sind unumkehrbar.

Daten hingegen sind potenziell unendlich reproduzierbar und vielseitig einsetzbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihre Nutzung unkompliziert ist. Im Gegensatz zu Öl werden Daten nicht „verbraucht“ – sie können immer wieder analysiert, neu kombiniert und in unterschiedliche Kontexte gesetzt werden. Sie haben auch keinen festen Wert oder eine klare Funktion an sich. Ihr Wert entsteht durch die Art und Weise, wie sie genutzt und interpretiert werden. Genau hier liegt die Gefahr: Daten sind äußerst kontextabhängig, und wenn sie falsch interpretiert werden, können sie nicht nur zu schlechten Geschäftsentscheidungen führen, sondern auch gesellschaftlichen Schaden anrichten.

Daten sind kein Werkzeug – sie sind ein dynamisches Ökosystem

Es gibt eine weitere weit verbreitete Metapher, die ebenfalls häufig verwendet wird: „Daten sind ein Werkzeug“. Diese Sichtweise suggeriert, dass Daten etwas sind, das man beherrscht, kontrolliert und zielgerichtet einsetzt, um spezifische Ergebnisse zu erzielen. Doch auch diese Metapher greift zu kurz. Ein Werkzeug hat eine spezifische Funktion – es wird für einen bestimmten Zweck hergestellt und verwendet. Daten hingegen haben keine festgelegte Bedeutung oder Funktion. Ihr Wert und ihre Aussagekraft ergeben sich erst aus der Interpretation und den Kontexten, in denen sie genutzt werden.

Vielmehr sollten Daten als Teil eines dynamischen, sich ständig verändernden Ökosystems betrachtet werden. In diesem Ökosystem sind Daten nicht statisch, sondern lebendig und wandelbar. Sie entstehen in Interaktion mit Systemen und Menschen und verändern sich, je nachdem, wie sie verwendet und kombiniert werden. Führungskräfte müssen verstehen, dass Daten keine passiven Werkzeuge sind, sondern aktive Akteure in einem komplexen Netzwerk, in dem jedes Element die Bedeutung der anderen beeinflusst.

Das Risiko der Datenverzerrung: Ein anschauliches Beispiel

Ein praktisches Beispiel für die Manipulation von Weltbildern durch falsch interpretierte Daten zeigt sich im politischen Bereich. Ein AfD-Anhänger war der festen Überzeugung, dass Wahlen in Deutschland manipuliert sein müssten. Sein Argument basierte auf YouTube-Kommentaren und Likes, bei denen die AfD regelmäßig 90% Zustimmung erhielt. Für ihn bedeutete dies, dass auch in der Wahl die AfD 90% der Stimmen erhalten müsste. Dieser Fehlschluss zeigt, wie leicht Daten – in diesem Fall Likes und Kommentare – aus ihrem Kontext gerissen und missinterpretiert werden können. Die selektive Wahrnehmung in einem stark eingeschränkten, algorithmisch gefilterten Umfeld wie YouTube kann ein verzerrtes Bild der Realität erzeugen. Die eigentliche Realität, nämlich dass diese Daten nicht repräsentativ für die Wählerschaft sind, wird ausgeblendet. Solche Fehlinterpretationen können ernsthafte Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben.

Die Gefahr der „Datenverschmutzung“

Während der Ölzyklus mit CO2-Emissionen endet, kann der „Datenzyklus“ in einer ganz anderen Art von Verschmutzung resultieren: in der Verschmutzung der öffentlichen Diskurse durch Fehlinformationen, Verzerrungen und manipulative Inhalte. Besonders in der heutigen Zeit, in der Algorithmen Entscheidungen auf Grundlage von Daten treffen, ist die Gefahr groß, dass voreingenommene oder falsche Datenmodelle gravierende Folgen haben.

Ein Beispiel hierfür ist die algorithmische Verzerrung in sozialen Medien und Nachrichtensystemen. Datenbasierte Entscheidungen darüber, welche Informationen sichtbar sind und welche nicht, können die öffentliche Meinung beeinflussen und zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Diese „Verschmutzung“ durch Daten ist ebenso gefährlich wie die Verschmutzung der Umwelt durch fossile Brennstoffe – sie untergräbt das Vertrauen in Institutionen und gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

Daten als sozialer Akt: Die ethische Verantwortung der Unternehmen

In einer zunehmend datengetriebenen Wirtschaft tragen Unternehmen eine immense Verantwortung. Daten sind keine neutralen Rohstoffe, die einfach extrahiert und verwendet werden können, ohne dass dabei gesellschaftliche und ethische Fragen aufgeworfen werden. Jede Entscheidung, die auf Daten basiert, ist nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale Handlung. Es geht darum, welche Fragen gestellt werden, welche Daten erhoben werden und vor allem, wie diese Daten interpretiert und genutzt werden.

Führungskräfte müssen sicherstellen, dass die Datennutzung ihrer Unternehmen nicht nur darauf abzielt, ökonomische Ziele zu erreichen, sondern auch den gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt. Dies erfordert Investitionen in Transparenz und Verantwortlichkeit sowie die Schaffung von Strukturen, die sicherstellen, dass die ethischen Implikationen der Datennutzung stets im Blick behalten werden. Es reicht nicht aus, nur auf die Qualität der Daten zu achten; es geht auch darum, sicherzustellen, dass die Schlussfolgerungen, die aus den Daten gezogen werden, gerecht und fundiert sind.

Verzerrungen und systemische Ungleichheiten durch Daten

Datenmodelle, die auf verzerrten oder unvollständigen Datensätzen basieren, können leicht zu falschen Ergebnissen und ungerechten Entscheidungen führen. Oft spiegeln Daten nicht die Realität wider, sondern nur einen Ausschnitt der Realität – einen, der durch bestehende Vorurteile, gesellschaftliche Ungleichheiten oder fehlerhafte Erhebungsmethoden beeinflusst ist. Wenn Unternehmen solche verzerrten Daten nutzen, um wichtige Entscheidungen zu treffen, laufen sie Gefahr, diese Verzerrungen zu verstärken und Ungleichheiten weiter zu zementieren.

Ein praktisches Beispiel: Algorithmen zur Kreditscoring-Bewertung können, wenn sie auf unvollständigen oder voreingenommenen Datensätzen basieren, bestimmte soziale Gruppen systematisch benachteiligen. Dies führt nicht nur zu ungleichen Chancen, sondern auch zu einer Verschärfung der ohnehin bestehenden gesellschaftlichen Spannungen.

Ein neuer Ansatz zur Datennutzung

Um die wahre Natur von Daten zu verstehen und ihre Nutzung verantwortungsvoll zu gestalten, bedarf es eines grundlegenden Wandels in der Art und Weise, wie Unternehmen mit Daten umgehen. Anstatt Daten als Ressource oder Werkzeug zu betrachten, sollten sie als lebendiges Ökosystem gesehen werden, das gepflegt und verantwortungsbewusst genutzt werden muss. Dabei müssen ethische Überlegungen eine zentrale Rolle spielen. Unternehmen sollten sich nicht nur darauf konzentrieren, Daten zu erheben und zu analysieren, sondern auch darauf, die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Datennutzung zu berücksichtigen.

Führungskräfte sollten dafür sorgen, dass ihre Unternehmen nicht nur die technischen Fähigkeiten zur Datenauswertung besitzen, sondern auch ein tiefes Verständnis für die ethischen und sozialen Dimensionen von Daten entwickeln. Dies erfordert Investitionen in Schulungen, die das Bewusstsein für algorithmische Verzerrungen, Datenschutz und ethische Datennutzung schärfen.

Fazit: Daten sind weder Öl noch Werkzeug

Der Vergleich von Daten mit Öl oder einem Werkzeug verkennt die wahre Natur der Daten. Daten sind weder eine statische Ressource noch ein passives Instrument – sie sind ein dynamisches, lebendiges Ökosystem, das durch menschliche Interaktion und Interpretation geformt wird. Für Unternehmen ist es entscheidend, diese Dynamik zu verstehen und ihre Verantwortung in Bezug auf die Datennutzung ernst zu nehmen.

Eine verantwortungsbewusste Datennutzung bedeutet, nicht nur die ökonomischen Vorteile im Blick zu haben, sondern auch die gesellschaftlichen und ethischen Implikationen. Unternehmen, die dies nicht tun, riskieren nicht nur, das Vertrauen ihrer Kunden zu verlieren, sondern auch, die Welt mit Fehlinformationen und verzerrten Wahrheiten zu verschmutzen. Daten bieten enormes Potenzial – aber nur, wenn sie verantwortungsvoll und mit einem klaren ethischen Kompass genutzt werden.